Aantekeningen |
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- „Meine Ururgroßeltern waren Ferdinand Pütz aus Köln (14.4.1873 - 10.4.1949) und seine Frau Bertha, geborene Wintgen (28.2.1874 - 15.7.1945), gebürtig aus Wiesbaden, die später immer stolz darauf war, dass ihre Kinder im Kölner Dom getauft wurden.
Ferdinand Pütz war wohlhabend, er besaß eine Molkerei in Köln. Sein Vater Karl und dessen Bruder Ferdinand, beide Ingenieure, hatten gemeinsam eine Mine in Spanien gekauft, die sie kurz vor dem ersten Weltkrieg an Ferdinand, den Molkereibesitzer, vererbten. Ferdinand und Bertha Pütz hatten zwei Kinder, die Tochter Elisabeth, die 1906 geboren wurde, und den Sohn Ferdinand (1904).
Die verwirrende Familien- Odyssee begann mit einem folgenschweren Schritt von Ferdinand: Als er die Mine in Spanien geerbt hatte, zog er nach Spanien und wechselte die Staatsbürgerschaft: Er wurde Spanier und entging so dem drohenden Kriegsdienst im 1. Weltkrieg. Auch seine Frau legte die deutsche Staatsangehörigkeit ab. Seine Kinder jedenfalls verloren durch den Schritt des Vaters jegliche Staatsbürgerschaft, wurden also staatenlos. Die Familie kehrte nach dem 1. Weltkrieg zurück, zog aber nicht wieder nach Köln, sondern in Bertas Heimatstadt Wiesbaden.
Elisabeth war in erster Ehe mit Leen Dronkert verheiratet. (Sie ließ sich später scheiden und heiratete 1931 ein zweites Mal, den Niederländer Gustaaf Adolf van der Harst) Leen Dronkert war Niederländer, hatte auch in den Niederlanden studiert und gearbeitet. Und er hatte ein Jahr in Indonesien verbracht. Als er für ein Praxissemester nach Deutschland kam und bei Familie Pütz als Untermieter einzog, war Elisabeth gerade mal 15 Jahre alt. Die beiden müssen sich heftigst verliebt haben, und Elisabeth setzte ihren Kopf durch- den oder keinen. Sie heirateten trotz aller Komplikationen: Da Elisabeth staatenlos war, war diese Heirat nur mit der Genehmigung der niederländischen Königin möglich. Elisabeth bekam die Genehmigung, heiratete, nahm die niederländische Staatsangehörigkeit an und ging mit ihrem Mann nach Indonesien.
Elisabeth hatte in dieser ersten Ehe drei Kinder: Adrian (geb. 1924), Eleonora, genannt Nora, (geb. 1926), Tine, geb. 1929. (Tine heiratete den Amerikaner Ken Becker, sie ist die Mutter von David Becker).
Gemeinsam hatten Elisabeth und ihr zweiter Mann Gustaaf Adolf später noch einen gemeinsamen Sohn, der wie sein Vater Gustaaf Adolf hieß, jun., genannt Dolf- Elisabeths 4. Kind.
Gemeinsam reisten Elisabeth und Leen 1926 nach Deutschland und besuchte Elisabeths Eltern. Die beiden Kinder Adrian und Nora ließen sie bei den Großeltern in Wiesbaden.
Nora and Adrian zogen erst 1931 zu den Eltern nach Holland. Adrian musste allein vorausreisen, Leen und die Tochter Nora folgten später. Adrian war gerade mal 7, als er allein in den Zug gesetzt wurde! Und erst nach 3 Monaten erreichte er Doordrecht.
Sein Vater machte in Doordrecht eine Drogerie auf, später kaufte er eine Drogerie in Groningen, dann zog er weiter nach Amsterdam und kaufte einen Laden und ein Haus in Bussum. Elisabeth hatte sich - siehe oben - 1932 von ihrem Mann Leen scheiden lassen. 1932 heiratete sie in Indonesien erneut, den Niederländer Gustaav Adolf, der in Indonesien eine Plantage besaß. Die beiden hatten gemeinsam einen Sohn, den sie ebenfalls Gustaaf Adolf nannten.
1933 war die neue Patchwork-Familie noch einmal nach Europa gereist. Dort trennte sie sich: Elisabeth blieb für ein Jahr bei ihren Eltern und Wiesbaden, Gustav van der Harst und der gemeinsame Sohn Dolf lebten in Holland in Middelburg bei seiner Familie. Aber sie trafen sich zu mehreren gemeinsamen Reisen durch Europa, ehe sie 1934 zu ihrer Plantage in Indonesien zurückkehrten.
Die Familie war in Indonesien bestens etabliert. Unter anderem kam der damalige Premierminister (Sultan) häufiger zum Essen. Und Elisabeth schaffte es tatsächlich, ihn gegen alle Sitten und Gebräuche Indonesiens dazu zu bringen, mit ihr an einem Tisch zu essen… Auch im Umgang mit ihren Hausangestellten war Elisabeth absolut ungewöhnlich- sie behandelte alle eher wie Familienmitglieder.
Als dann der 2. Weltkrieg ausbrach, änderte sich alles. Einheimische warnten die Familie rechtzeitig vor dem drohenden Einmarsch der Japaner. Schon vorher hatten sie Geschichten gehört von angeblichen japanischen Fischern, die gesehen worden waren - Vorboten einer schlimmen Zeit, wie sich nun herausstellte. Die van der Haarst´s waren ja Niederländer und deshalb besonders in Gefahr. Elisabeth gelang mit den Kindern und einigen einheimischen Angestellten die Flucht in die Berge. Sie suchten und fanden Schutz in einem Kloster. Gustaaf blieb auf der Plantage zurück. Im Kloster wollte man die Familie zunächst auf gar keinen Fall aufnehmen. Aber Elisabeth beschwor den Abt, er als Mann der Kirche könne sie und ihre Kinder nicht in den Dschungel schicken, wo sie sicher von Indonesiern umgebracht würden. Der Abt gab tatsächlich nach. Und dann versuchte eines Nachts eine Gruppe wütender Indonesier, das Kloster in Brand zu stecken. Es war einer von Elisabeths Angestellten, der den Dialekt der Angreifer sprach und sie von ihrem Plan abbrachte.
Da ihr Mann auf der Plantage war und sie ihren ganzen Besitz zurückgelassen hatten, wollte Elisabeth unbedingt zurück zu ihrem Haus. Einer ihrer Angestellten ging mit Elisabeth und den Kindern; er kannte sich gut aus und wußte sich zu bewegen, er gab die Familie als seine eigene aus und brachte sie tatsächlich sicher zurück. Aber als sie zurückkehrten, war Gustav nicht mehr da, er war von Japanern gefangen genommen worden und stand auf der Liste der Todeskandidaten. Elisabeth waren die Hände gebunden. Sie konnte ihm Essen bringen lassen, aber er durfte niemanden sehen.
Und dann war auch diese Hilfe nicht mehr machbar, denn es wurde über alle Ausländer Hausarrest verhängt, so daß die Familie festsaß. 1942 erging der Befehl zur Evakuierung aller Niederländer; sie durften nur mitnehmen, was sie am Körper trugen. Elisabeth jammerte nicht, sondern handelte: Sie verließ das Haus in einem Abendkleid, sicher von allen für leicht verrückt gehalten. In dieses Kleid hatte sie alle Wertsachen und vor allem den kostbaren Familienschmuck eingenäht.
Die Angestellten müssen wohl fassungslos mit angesehen haben, wie „ihre Familie“ weggebracht wurde. Elisabeth erinnerte sich bis an ihr Lebensende an einen Angestellten, der laut weinte - und dann tot zusammenbrach.
Wie alle Niederländer wurden auch die van der Haarst´s in Arbeitslager geschafft. Männer und Frauen wurden getrennt, die Frauen sollten später nach Borneo geschafft und zur Prostitution gezwungen werden - ein Plan, der zum Glück nie Wirklichkeit wurde.
Elisabeth konnte ihre Tochter bei sich behalten (die beiden größeren Kinder waren bei ihrem leiblichen Vater in Holland), Elisabeth wurde aber von ihrem Sohn Dolf (Gustaaf Adolf) getrennt. Der Junge, damals 10 Jahre alt, wurde allein in ein anderes Lager verschleppt. Und dann ereignete sich eine geradezu legendäre Fügung des Schicksals: Eines Tages sah der Junge, daß das Tor des Lagers offen stand. Es waren keine Wachen zu sehen. Das Kind flüchtete, zuerst im Schutz des hohen Grases, dann entkam es in den Dschungel. Gustaaf Adolf rannte voller Angst immer weiter und weiter. 18 Stunden später traf er auf eine Gruppe von Gefangenen, die ihn mitnahm in ihr Lager. Der Junge fiel in tiefen Schlaf - als er wieder aufwachte, zog jemand an seinem Zeh. Und als er die Augen aufschlug, sah er an seinem Bett seinen Vater, der in genau diesem Lager gefangen war. Der Vater wurde bald darauf aus diesem Lager in ein anderes geschafft, Dolf war wieder allein. Beide überlebten; die Familie fand sich aber erst nach dem Krieg wieder. Und Dolf sprach mit niemanden darüber, was er in dieser Zeit erlitten hatte.
Elisabeths Bruder Ferdinand hatte einen anderen Weg als seine Schwester eingeschlagen. Auch ihn zog es zunächst 1928 nach Indonesien, wo Elisabeths erster Mann ihm Arbeit verschaffte. Aber 1930 ging er dann doch zurück nach Deutschland. Mit der Volljährigkeit hatte er die deutsche Staatsbürgerschaft wieder angenommen, und als der Krieg begann, wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Elisabeth und Ferdinand gehörten nun offiziell feindlichen Lagern an. Während also Ferdinand bei der Wehrmacht war und Elisabeth und ihr Mann in Indonesien, ging Ferdinand nach Bussum. Er wollte sich vergewissern, daß es Elisabeths erstem Mann Leen und den beiden Kindern Nora and Adrian gut ging. Die Kinder waren in letzter Minute aus Deutschland entkommen. Als er in Uniform bei der Familie auftauchte, fiel Leen fast in Ohnmacht und wurde dann wurde er total wütend, daß Ferdinand nicht in Zivil war. Der Hintergrund: Die Nachbarsfamilie hatte eine jüdische Familie bei sich versteckt. Leen war zwar sicher, daß Ferdinand nichts verraten würde, aber die Nachbarn haben furchtbare Ängste ausgestanden.
Ferdinand Pütz sen. hatte Nora in den allerletzten Zug gesetzt, der noch Richtung Niederlande fahren konnte, bevor 1939 die Grenze dicht gemacht wurde. In Gefahr war vor allem Adrian, damals 16 oder 17 Jahre alt, einerseits als Niederländer „der Feind“, andererseits aber auch im wehrpflichtigen Alter. Ferdinand Pütz sen. hatte eigens einen Schrank konstruiert, um die Enkel bei Kontrollen zu verstecken. Um sie in Sicherheit zu bringen, setzte Ferdinand sen. zunächst Adrian in den Zug nach Doordrecht (NL). Zwei Mal wurde Adrian geschnappt, das erste Mal entkam er selbst, beim zweiten Mal ermöglichte ihm ein Offizier die Flucht, der sich sehr menschlich zeigte: Er sagte zu dem Jungen: „Da hinten ist ein Fenster. Ich drehe mich jetzt um. Und wenn ich wieder hinschaue, bist Du einfach nicht mehr da“. Adrian sprang aus dem Fenster - im zweiten Stock - und entkam. Adrian ging in den Untergrund - er wurde als fahnenflüchtig gesucht und verfolgt. Er versteckte sich auf dem Dachboden im Haus seines Vaters. Dort gab es eine verdeckte Tür, hinter der er verschwinden mußte, sobald die Wehrmacht auftauchte. Eines Tages tauchten deutsche Soldaten bei seinem Vater auf. Sie fragten einen Untermieter, ob er Adrian gesehen habe. Der Mann verneinte - und er blieb auch dabei, als die Soldaten ihm drohten, es werde ihm an den Kragen gehen, wenn er den Jungen kenne und lüge.
Bei Nacht und Nebel war Adrian mit anderen Widerstandskämpfern unterwegs. Sie zündeten Häuser an, in denen Deutsche lebten, sie sprengten Brücken.
Adrian überlebte den Krieg, aber auch er sprach niemals auch nur ein Wort über das, was er erlebt hatte.
Als der Krieg zu Ende war, machte sich Elisabeth in Indonesien auf die Suche nach ihrem jüngsten Sohn, der ja noch ein Kind war. Sie lief von einem Arbeitslager zum anderen - und sie fand ihn tatsächlich. Als Erwachsener heiratete Dolf und hatte mit seiner Frau einen Sohn (Gregory Allan van der Harst). Erst mit 45 outete Dolf sich und bekannte, daß er schwul ist.
Die Familie machte sich nun auf den Weg zurück in die Niederlande. Und wieder ereigneten sich merkwürdige Zufälle: Gustaf Adolf trat die Reise als schwerkranker Mann an. Der Flug ging über Kairo, und weil der Kranke tief schlief, ließen die anderen ihn beim Zwischenstop in der Maschine zurück. Als er dann doch aufwachte, rappelte er sich auf und suchte seine Leute - und stürzte aus der offenen Flugzeugtür in die Tiefe. Diesen Sturz überlebte er nur um Haaresbreite. Die Familie schlug sich durch bis Amsterdam - dort starb G.A. dann später.
Elisabeths Eltern waren ja von Köln und Spanien aus nach Wiesbaden weitergezogen und hatten dort ein Haus gebaut. Elisabeth machte sich nach der Odyssee von Indonesien nach Holland wieder auf den Weg, nach Wiesbaden, um zu sehen, was aus deren Haus geworden war. Und wieder bewies Elisabeth, wie außerordentlich entschlossen sie war: Das Haus war von einer Bombe getroffen worden, also keine Zuflucht mehr für Notzeiten. Irgendwie schaffte es Elisabeth, Geld aufzutreiben und Kredite zu bekommen. Sie baute ein neues Haus mit acht Wohnungen, um auf diese Weise für all ihre Lieben vorzusorgen: für ihre eigenen vier Kinder und für die ihres Bruders Ferdinand.
Aber sie selbst ließ sich keineswegs in Wiesbaden nieder. Für sie war die einzig sichere Zuflucht Amerika - und so wanderte sie ein zweites Mal aus, dieses Mal nach Amerika. Sie ließ auch ihren Kindern keine Ruhe, bis sie alle bei ihr in den Staaten waren.
Das Haus in Wiesbaden steht immer noch, in allerbester Lage in Wiesbaden residiert dort heute die örtliche Sparkasse.“
David Becker hat mit seiner Formation „Tribune“ seiner Familie und ihrer hier geschilderten abenteuerlichen Geschichte sein jüngstes, liebevoll mit Fotos aus dem Familienalbum und Kurztexten ausgestattetes Album gewidmet, das soeben auf den Markt gekommen ist: „Batavia“.
Ein bißchen ist das Album wiederum ein Familienunternehmen, denn Davids Bruder Bruce Becker ist als festes Mitglied von „David Becker Tribune“ am Schlagzeug dabei. Zwölf Titel hat David für dieses Epos geschrieben, quasi als Begleitung zur oben erzählten Familiengeschichte. Atmosphärisch dicht verflechten sich David Beckers eleganter World-Jazz, Landschaftsbilder Indonesiens und folkloristische Elemente zu einem akustischen Bilderbuch, dessen Kapitel die Stimmungen der historischen Ereignisse aufgreifen. Die sanfte, ausgleichende Stimmung friedlicher Zeiten, wie sie in „Bali“ und „Li“ (meine Lieblingsstücke) zu spüren ist, steht der Angst und Aufregung der Flucht gegenüber, die David Becker mit „“The Invasion“ und „Escape to Puntjak“ schildert. Gefangenschaft und Not klingen deutlich in „In Search of His Father“ und „Metal Plate“ an. Sanft klingt „Batavia“ mit einer Reprise des Titelstücks aus. Ein Album zum Lauschen und genießen.
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